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Auf der Suche nach dem Nichtvorhandenen
"ich esse meine suppe nicht" mal anders

Wir sitzen uns gegenüber, vor uns steht eine Schüssel mit Suppe, welche uns geschenkt wurde. Ich habe großen Hunger und deinem Magenknurren entnehme ich, dass es dir auch nicht anders ergeht

Einen Moment betrachte ich die vor mir stehende Schüssel Suppe ganz in Ruhe, erfreue mich an ihren Anblick und sauge ihren angenehmen Geruch tief ein. Ich schaue hoch und sehe, wie dein Blick eher skeptisch auf sie gerichtet ist.

Den Löffel in die Hand nehmend überlege ich mir, welche der vielen verschiedenen Zutaten ich als Erstes auf meiner Zunge spüren will. Und ich mache es so wie immer, entscheide mich für etwas, was mir nicht so toll schmeckt. So bleiben die leckeren Sachen bis zum Schluss, ich behalte ihren tollen Geschmack noch eine Zeit lang nach dem Essen im Mund und es wird auch mit Sicherheit nichts übrig bleiben.
Dass du mir diese jederzeit wegschnappen könntest, spielt für mich keinerlei Rolle. Wenn das passiert, dann soll es halt so sein, ich kann gönnen, Futterneid ist mir fremd und du hast genauso ein Anrecht auf jede einzelne Zutat wie ich.

Während ich nach und nach meinen Löffel in die Suppe tauche, ihn mit immer neuen Sachen zum Mund führe, langsam kaue und jede einzelne Geschmacksrichtung bewusst genieße, stelle ich mir vor, wo sie herkommen, wer sie angebaut hat, welche Geschichte sich hinter dieser Person verbergen mag. Mir ist durchaus bewusst, dass die Herstellung dieses Gemüses vielleicht mit Ausbeutung einhergeht, jenes Gemüse gespritzt ist und das Stücken Fleisch hier wahrscheinlich mehr Antibiotika besitzt, als gut für mich ist. Über die Qualen des Tieres und die Belastung für die Umwelt will ich in diesen Moment gar nicht nachdenken, denn mein Hunger ist einfach zu stark. Darum versuche ich für den Augenblick die Schattenseiten auszublenden und nur das zu genießen, was mir geschenkt wurde, das, was ich gerade bitter nötig habe, um weiterzuleben. Ganz gelingt es mir jedoch nicht, was auch gut ist. Denn nur so kann ich, wenn ich selber wieder in der Lage bin mir eine Suppe zu kochen, etwas ändern.

Ich schaue zu dir auf. Du sitzt noch immer regungslos mir gegenüber, starrst nach wie vor stumm in die Schüssel mit der verbleibenden Suppe. Und langsam wird mir bewusst, dass du ein Haar in ihr suchst. Ein Haar? Okay, kann es geben, aber das wird sich finden, während man seinen Bauch füllt. Also esse ich einfach weiter, hänge meinen Gedanken nach und langsam verschwindet das leere Gefühl in meinem Bauch.

Einen Löffel noch, dann ist alles auf. Kein Haar gefunden. Und während ich froh bin, dass die Schüssel leer ist, nichts weggeschmissen werden muss, ich neue Kraft getankt habe und viele Überlegungen mich etwas klarer sehen lassen, vernehme ich dein lautes Magenknurren und habe Mitleid mit dir. Du hast das Haar in der Suppe gesucht, welches nicht da war und dadurch auf all das verzichtet, was mir beim Essen bewusst wurde.

Und während ich mit neuem Schwung aufstehe, um vielleicht ein bisschen die Welt zu verbessern, sitzt du noch immer hungrig dort, hasst die Welt und bist wahrscheinlich auch noch sauer auf mich, weil ich gegessen habe....

© Morgan MacAilis 17. März 2019